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[11] Barrikaden am Rostocker Kiez

Quelle: „SED Tiergarten: Das war Moabit“

Es war im Jahre 1932. Die Zusammenstöße zwischen der revolutionären Arbeiterschaft und den Nazis wurden immer zahlreicher und heftiger. Nacht für Nacht wurden Arbeiter, Kommunisten, Sozialdemokraten, Parteilose, Jugendliche, von vertierten Faschisten zusammengeschlagen, niedergestochen und zu Tode geprügelt. Die Polizei, die in Berlin unter dem Kommando des Sozialdemokraten Grzesinski stand, unternahm nichts dagegen, tat aber alles, um die Selbstschutzmaßnahmen der Arbeiter zu verhindern.
Es trat ein Ereignis ein, das die Wut der Arbeiter zum Kochen, den Kessel zum Überlaufen brachte. Am 20. Juni 1932 sollte wiederum die Exmittierung einer Arbeiterfamilie vorgenommen werden. Sechs Millionen Arbeitslose gab es damals in Deutschland, die Unterstützung reichte nicht einmal für das Essen. Woher die Miete nehmen?
Dem Anschlag gegen die Ärmsten der Armen konnte man nur eines entgegenstellen – die proletarische Solidarität.
Als bekannt wurde, dass am Nachmittag des 20. Juni eine schwangere Frau mit einem Kleinkind in der Gotzkowskystraße auf die Straße fliegen sollte, rief die Unterbezirksleitung der KPD Moabit die Arbeiter der umliegenden Häuser auf, die Exmittierung zu verhindern.
So zogen Gruppen der Partei, des KJVD, des verbotenen RFB, Mitglieder des Massenselbstschutzes und Fichte-Sportler von Hof zu Hof, von Wohnung zu Wohnung, um durch Sprechchöre und persönliche Rücksprachen die Bevölkerung dazu aufzufordern, die gefährdete Frau auf proletarische Weise zu schützen. Und die Bevölkerung folgte dem Ruf der Partei. Die Sachen der Frau wurden von Arbeitern wieder in die Wohnung getragen. Auch als die Polizei erschien, wichen die Massen nicht.
Als der Polizeioffizier unschlüssig mit einigen seiner Beamten beratschlagte, ob er wieder abziehen sollte oder nicht, erschienen einige Leute in Zivil. Sie wurden von der Bevölkerung sofort als Mitglieder des SA-Sturmes erkannt, der in dem Lokal „Hochmeister“ in der Huttenstr. 3 seinen Sitz hatte. Kurze Unterhaltung mit dem Polizeioffizier, dann, auf ein Zeichen eines SA-Mannes, erschien der SA-Sturm und schlug gemeinsam mit der Polizei auf die Massen ein.
Doch sie hatten sich verrechnet. Mit den Rufen „So haben wir uns eure Arbeiterpartei vorgestellt!“, „nieder mit den Mordfaschisten“ (am 1. Mai hatte ein Mitglied dieses Sturmes einen Arbeitersportler in der Ufnaustraße ermordet), setzten sich die Arbeiter zur Wehr und vertrieben SA und Polizei, die gemeinsam in das Lokal „Hochmeister“ flüchteten.
Es entstand eine regelrechte Belagerung. Nach einiger Zeit erhielt die Polizei Verstärkung. Polizeihundertschaften stürmten die Huttenstraße, um die im „Hochmeister“ eingeschlossenen Polizisten zu befreien.
Da das Faschistenlokal aber nicht geschlossen wurde, die Nazis von dort aus ihre Provokationen fortsetzten, demonstrierten am 21. und 22. Juni 1932 wiederum Antifaschisten vor dem Lokal.
Am 22. Juni, als die Polizei wieder die Belagerung des Nazilokals mit Gummiknüppeln auseinander schlug, zogen sich die Arbeiter in die Rostocker Straße zurück. Als aber die Polizei weiter vordringen wollte, um die Arbeiter auch aus der Rostocker Straße zu vertreiben, wurde die Straße abgeriegelt. Müllkästen, ein Baugerüst, kurz alles, was sich für eine Barrikade eignete, flog auf die Straße. Kommunisten, Sozialdemokraten, Reichsbahnerkameraden und Mitglieder des „illegalen“ RFB krempelten sich die Ärmel auf. Gemeinsam wurde das Pflaster aufgerissen und die Barrikaden standen.
Gemeinsam waren die Barrikaden gebaut worden und gemeinsam wurden sie gegen Faschisten und Polizei verteidigt. SA und Polizei mussten sich zurückziehen, um auf Verstärkung zu warten. Spät am Abend glaubten sie sich stark genug. Schnell verdunkelte die Bevölkerung die Straße, indem die Gaslaternen ausgemacht wurden. Jetzt merkte die Polizei: Es wird ernst, die geeinte Arbeiterschaft ist nicht gewillt, den Faschisten die Straße zu übergeben. Wiederum zogen sich Polizei und Faschisten zurück. Einige Zeit später erschien ein Panzerwagen. Auch er wurde durch die Barrikaden aufgehalten und musste zurückweichen.
Mit Karabinern ausgerüstet stürmte die Polizei am nächsten Tage die Rostocker Straße. Pfui-Rufe empfing sie, Hoch-Rufe auf die antifaschistische Einheitsfront hallten die Straße entlang. Schließlich gelang es den Polizisten, die verlassenen Barrikaden so weit zu beseitigen, dass sie ungehindert durch die Rostocker Straße gehen und fahren konnte. Nun wagten sich auch die SA-Banditen wieder aus ihrem Schlupfwinkel hervor. Unter dem Schutz der Polizei glaubten sie die Arbeiter erneut provozieren zu können. Das stellte sich als Irrtum heraus. Trotz Polizeiaufgebot schlug die Bevölkerung die Faschisten in ihren Schlupfwinkel „Hochmeister“ zurück.
Gegen Abend versuchten die Faschisten erneut zu provozieren. Diesmal mit Polizeiunterstützung. „Fenster zu“ hallte es durch die Straße. Die SA wollte marschieren. Doch diesmal ging es noch schneller mit dem Bau der Barrikaden. Die Materialien lagen ja bereits herum und die Bevölkerung hatte schon Übung. Die Rostocker Straße war im Handumdrehen gesperrt. Doch auch die Polizei hatte Erfahrung gesammelt, nämlich dass es unmöglich ist, nachts die Straße zu stürmen. Daher bediente sie sich eines anderen Mittels, die Bevölkerung zu terrorisieren und zu schikanieren. Sie transportierten Scheinwerfer auf die Dächer der Häuser Hutten- Ecke Rostocker Straße und leuchteten in die Fenster der Bewohner. Dazu schrien sie unentwegt: „Fenster zu, es wird geschossen!“
Am nächsten Morgen wurde der Belagerungszustand über die Rostocker Straße verhängt. Nur mit Ausweis konnte man in die Straße hinein und Ansammlungen waren verboten.
Die Erregung über die Provokationen der Nazis und die offene Begünstigung der Faschisten durch die Polizei griff auf die Betriebe über. Die Arbeiter von Osram, Turbine, Loewe und aus anderen Betrieben sagten den Bewohnern des Rostocker Kiezes ihre volle Unterstützung zu. Die Belegschaften dieser Betriebe waren nicht gewillt, derartige Provokationen wehrlos hinzunehmen. Sie forderten Schließung des Nazilokales „Hochmeister“. Sie bildeten einheitliche Schutzstaffeln der Arbeiter und riefen zum Proteststreik auf.
Am 28. Juni fanden in der Hutten-, Ufnau- und Sickingenstraße, am 29. Juni in der Rostocker Straße Mieterversammlungen statt, auf denen u.a. die Schließung der Nazikneipe und die Zurückziehung der mit Karabinern bewaffneten Polizei aus den Moabiter Straßen gefordert wurde.
Am frühen Nachmittag des 30. Juni formierte sich, trotz Belagerungszustandes, verstärkter Polizeistreifen, Demonstrationsverbotes und Stationierung von zusätzlicher Polizei in Moabit, ein Demonstrationszug in der Huttenstraße vor dem SA-Lokal.
Wiederum standen Kommunisten und Sozialdemokraten Seite an Seite und marschierten die Huttenstraße entlang, die Turmstraße weiter bis zum Kleinen Tiergarten.
Mit den Rufen „Es lebe der Kampf der geeinten Arbeiterklasse, nieder mit dem Faschismus“ und einem dreifachen „Rot Front“, in das alle Demonstranten und die Bevölkerung einstimmten, löste sich der Zug auf. Die auf den Straßen stehenden Polizisten wagten nicht, gegen die Arbeiter vorzugehen.
Einig in der Verhinderung der Exmittierung, einig im Kampf gegen den faschistischen Terror, einig im Widerstand gegen die Polizei – so siegten die Moabiter Arbeiter im Jahre 1932.

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